Heute Murgsen, morgen Murgseen

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Im Frühling war mal die Idee vorgeschlagen worden, alle zusammen für ein paar Tage im Sommer loszuziehen, um die eine oder andere Line zu spannen. Nachdem ein Datum gefunden worden war fiel die Entscheidung kurz vor dem Start auf ein Gebiet südlich des Walensees, welches Tom kürzlich gesichtet hatte. Plan war am ersten Tag bis zu einer vielversprechenden Nadel aus Verrucano-Gestein aufzusteigen und dort bereits Abends die erste Highline gespannt zu haben. Am nächsten Tag sollten dann nach einer mehrstündigen Wanderung die Murgseen erreicht werden – wo ebenfalls wieder eine Highline aufgebaut werden sollte – dieses Mal über einem Wasserfall. Der dritte und letzte Tag wurde als Backup- und Waterline-Tag über dem untersten Murgsee mit in die Pläne eingerechnet.

Der wandelnde Rucksack
Der wandelnde Rucksack
Benj & Kili auf dem Turm
Benj & Kili auf dem Turm

Mit reichlich Gepäck machten wir uns Montags morgens auf den Weg. Vor allem Benj war mindestens so gut bepackt wie ein süd-tibetanischer Maulesel. Wenn man hinter ihm lief bedeutete das konkret, dass man von ihm nicht viel mehr sah als einen riesigen Rucksack mit zwei Beinen. Nach gut zweieinhalb Stunden hatten wir die 700 Höhenmeter hinter uns und standen am Fuss der ersten geplanten Line.
Benj und Kili machten sich daran auf den Turm zu klettern, was ihnen auch ohne eingebohrte Kletterroute gelang. Allerdings erübrigte sich das Vorhaben eine Highline zwischen den beiden Türmen zu spannen, als Benj ankündigte, die Distanz sei mit einem optimistischen Sprung überbrückbar. So liefen wir noch ein Stück weiter der Krete entlang um einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Zwischen ein paar schönen Boulderfelsen richteten wir die Hängematten für die Nacht ein und machten uns an ein gutes, von Benj zubereitetes Abendessen.
Nach einer richtig gemütlichen Nacht war die Motivation früh aufzustehen eher bescheiden – am späten Vormittag pilgerten wir langsam los in Richtung Murgseen. Auf der Karte sah der Weg relativ machbar aus, wenig Höhenmeter – eine gemütliche Sache.
Doch dann machte uns die, nennen wir es mal «üppige», Bergvegetation einen kleinen Strich durch die Rechnung. Auf der Karte unscheinbar gewesen waren die zwei Flächen aus sogenannten Legföhren.

Legföhren sind nichts anderes als gewöhnliche Bergkiefern mit dem Zusatz, dass sie jährlich vom Schnee etwas hangabwärts gedrückt werden und so eine Art hakenförmige Wuchsform erhalten. Interessanterweise werden sie bei Wikipedia mit «bilden oft ein undruchdringliches Gewirr» beschrieben. Sie sind meist zwei bis drei Meter hoch, was im übrigen bewirkt, dass, erst mal in einer solchen Ansammlung angelangt, eine Orientierung schwerer wird als man denkt, da ausser dem grün der Pflanzen und dem blau des Himmels (und eventuell dem gegenüberliegenden Hang) nicht mehr all zu viel zu sehen ist.

Kili hat etwas vielversprechendes gesichtet
Kili hat etwas vielversprechendes gesichtet
Der Gesichtsausdruck beschreibt die Situation ziemlich treffend
Der Gesichtsausdruck
beschreibt die Situation
ziemlich treffend
Gleich geschafft, bald ist der Murgs vorbei und das Legföhrenbrevet bestanden!
Gleich geschafft, bald ist der Murgs vorbei und das Legföhrenbrevet bestanden!

In dieser eben beschriebenen Situation befanden wir uns rascher als gewollt. Die nächsten Stunden verbrachten wir nun damit uns durch die Legföhren zu arbeiten, was dank der klobigen Rucksäcke nicht unbedingt einfacher wurde. Unsere Geschwindigkeit würde ich mal auf beachtliche 5-10m pro Minute schätzen. Als hilfreicher Legföhren-Führer erwies sich dann aber Kili, der wie der Blitz durch das Gestrüpp flitzte und im Nu den richtigen Weg ausfindig machte, so dass wir zumindest keine Umwege machen mussten.

Grösster und vermutlich auch einziger Vorteil dieser Aktion war vermutlich, dass alle Teilnehmer dieser Übung sich hinterher als stolzer Besitzer des sogenannten Legföhrenbrevets Module 1 & 2 nennen dürfen (hiermit offiziell bestätigt). Dann ging es weiter in Richtung der drei Murgseen, welche wir nach rund einer Stunde auch erreichten. Dort angelangt erwartete uns ein idyllisch aussehendes Gewässer. Die Sonne schien den ganzen Tag über schon, alle hatten heiss und wollten schnellst möglich in den klaren Bergsee. Aber wieder kam etwas dazwischen…
Dieses Mal war es der Fakt, dass man beim euphorischen Versuch den ersten Fuss ins flache Wasser zu setzen bis zur Wade im Schlamm versank. Eine unangenehme Geschichte, welche sich in Richtung des Ziels immer weiter verschlechterte, so dass man am Schluss bei rund 10-20 cm Wassertiefe bis zur Hüfte absoff. Ungünstigerweise erstreckte sich diese Schlammschicht etwa 30m hinaus, bis der richtige See begann. Hatte man es geschafft, konnte man angenehm im tiefen Wasser schwimmen als ob nichts gewesen wäre und amüsiert den Freunden zuschauen, wie sie sich ebenfalls durch den Schlamm kämpften.
Als Zuschauer spannend anzuschauen waren dabei die verschiedenen Taktiken jedes einzelnen, um möglichst wenig Kontakt mit dem gruseligen Schlamm zu haben. Eine Variante war das «überschwimmen», welche mehrmals von verschiedenen Leuten getestet wurde, aber nie wirklich überzeugend wirkte.

Olivia's Geburtstagsline
Olivia’s Geburtstagsline

Mein persönlicher Favorit war die Taktik «Mit den Armen fuchtelnd und laut kreischend auf’s Ziel zu rennen» – frei nach dem Motto kurz und schmerzlos. Positiver Nebeneffekt dabei waren sehr belustigte Zuschauer. Um uns das nicht nochmal antun zu müssen schwammen wir an eine andere Uferseite und liefen aussen herum zurück.
Wir brauchten noch eine halbe Stunde bis zum Wasserfall, dem Highlinespot Nummer zwei. Olivia hatte an diesem Tag übrigens Geburtstag – in weiser Voraussicht hatte Tom einen schicken kleinen Kuchen mit hochgetragen, welcher zum Dessert serviert wurde. Vor dem Einschlafen noch ein paar Sternschnuppen zu sehen gab dem Abend ein entspanntes Ende.

Am nächsten Tag gings dann ans Rigging der Highline, welches durch unsere Freunde die Legföhren mal wieder etwas schwerer gemacht wurde als es uns recht war, mit den am Vortag angeeigneten Skills allerdings gut meisterbar.

Erst um drei Uhr hatten wir die 20m Highline fertig aufgebaut. Von der Länge her nichts besonderes, aber so neben dem Wasserfall liegend hatte sie durchaus ihren Reiz. Nach schnellem Abbau ging es wieder in Richtung Zuhause. Benj, der Erstbegehende nannte die Line hinterher «Murgsline», was jeder, der an diesem Plätzchen eine Wiederholung machen möchte vermutlich hinterher gut verstehen wird.

Ein kleiner Fazit: Dinge sehen manchmal leichter aus als sie tatsächlich sind – ob Legföhren-Querungen oder Schlammdurchwatungen – mit genügend Motivation und einem Quäntchen Humor ist vieles meisterbar. Und in Vergessenheit gerät es wohl auch nicht so schnell…

Geschrieben von Fäbu